Nummer /interviews/2003-01-02_Wilhelm-Ederer
Titel Interview mit Wilhelm Ederer, 2.1.2003
Interview-Partner Wilhelm Ederer
Geburtstag 1931-01-05
Todestag
Alter 71
Beziehung zu Högn Schüler unter August Högn
Ort Ruhmannsfelden
Datum 2003-01-02
Dauer 30
Wikicommons-Datei August_Högn_-_Interviews_06_Interview_mit_Wilhelm_Ederer,_2.1.2003.ogg
aufgenommen true

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Josef Friedrich: Welcher Jahrgang sind Sie?

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Wilhelm Ederer: 1931. In der 7. und 8. Klasse hatte ich August Högn als Lehrer. Der 8. Jahrgang ist 1937 eingeführt worden, als ich in die Schule gekommen bin. Wir waren der letzte Jahrgang der im 3. Reich Schulentlassung gehabt hat. 3 Wochen später sind die Amerikaner gekommen.

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Josef Friedrich: August Högn ist dann in Pension gegangen?

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Wilhelm Ederer: Ja, er ist dann in das Härtl-Haus gezogen, das dem Gemeindeschreiber Härtl gehört hat. Und vorher hat er in der Wohnung gewohnt, wo jetzt Herr Lankes wohnt. Und wenn man von hinten herein gegangen ist, kam zuerst das Lehrmittelzimmer. Er hat uns den Schlüssel gegeben und gesagt: „Geht zur Rosl und holt das und das.“ Oberhalb hat der Lehrer Ertl gewohnt.

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Josef Friedrich: Wie ist der Unterricht unter August Högn abgelaufen?

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Wilhelm Ederer: Ganz prima (ironisch). Ein Heft, ein Bleistift und ein Radiergummi, das war unser ganzes Schulzeug. Gelernt haben wir nichts. Er war Chorregent während des Krieges und da waren die Leichenämter für die verstorbenen Soldaten, manchmal in der Woche zwei. Er hat Orgel gespielt und wir waren Ministranten. Wenn einer gefallen ist in Russland, dann war nur am Vormittag ein Gottesdienst. Manchmal ist zum Kriegerdenkmal eine Abordnung mit sechs oder neun Mann aus Deggendorf gekommen. Sie haben dann Salut geschossen, nicht jedes Mal. Sie sind durch den Markt herauf marschiert und die beurlaubten Soldaten, die da waren, quasi die Fronturlauber sind mit marschiert, mit Gewehren und den Fahnen voran und natürlich die Musik voran. Da draußen haben sie Salut geschossen, da war die weltliche Feier und danach war der Gottesdienst für die Gefallenen und da hat der Högn Orgel gespielt.

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Josef Friedrich: Und was hat die Klasse gemacht in der Zwischenzeit?

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Wilhelm Ederer: Die Größeren haben aufgepasst und die Anderen sind heimgegangen. Bis der Högn wieder da war, ist fast keiner mehr da gewesen. Und in der Pause ist er manchmal den Auswärtigen mit dem Fahrrad nachgefahren. Wir Marktbuben sind heimgegangen. Bis der Högn wieder gekommen ist, war überhaupt keiner mehr da. Das war nicht regelrecht, ist aber vorgekommen. Wir haben ja die Hälfte der Zeit keine Schule gehabt. Wir haben z. B Kohlenferien gehabt, das war für die Norddeutschen, da haben wir Kartoffelferien gehabt. Wenn sie keine Kohlen hatten, haben wir Kohleferien gehabt, weil sie nichts gehabt haben zum Einheizen.

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Josef Friedrich: Das war aber doch ein Ausnahmezustand wegen des 2. Weltkrieges?

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Wilhelm Ederer: Nur der Einfluss vom Krieg. Wir haben auch Kartoffelkäfer sammeln müssen, den haben die Amerikaner absichtlich ausgesetzt, genau wie sie Flugblätter abgeworfen haben und Lametta, Silberstreifen durch die sie den Funkverkehr gestört haben. In unserer Klasse sind die Buben von der 7. und 8. Klassen zusammen gewesen. 50 - 60 Leute. Ab der 7. Klasse sind die Buben weg gekommen, dass sie nicht auf die Mädchen „fankerln" konnten. Wir hatten den Högn.

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Josef Friedrich: Gab es einen festen Stundenplan?

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Wilhelm Ederer: Ja, vom 10 bis viertel nach 10 war Pause. Im Sommer ist die Schule um 8 Uhr angegangen und im Winter eine viertel Stunde später um Viertel nach zehn. Im Winter hat es oft zwei Tage geschneit, und die Kinder mussten bis von Kleinried runter gehen. Von da oben waren 20, 30 Kinder. Die haben auch früher gehen dürfen, wenn es stark geschneit hat oder ein Hochwasser war. Im Klassenzimmer gab es einen Blechschirm vor dem Ofen, der mit Kleidung der Kinder voll behangen war, wenn es geregnet hat. Damals hat es noch keinen Anorak gegeben.

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Josef Friedrich: Eine Schulstunde war damals 60 Minuten lang?

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Wilhelm Ederer: Ja genau, bis um 12 hatten wir Schule und dann nachmittags, das ist aber nicht lange gegangen, bis zum Krieg halt. 1939 haben 3 Lehrer einrücken müssen, sie waren Reserveoffiziere, beim Polenfeldzug haben sie einrücken müssen. Während des Krieges waren nur 2 Lehrer da, der Lehrer Ertl und der Högn, das andere waren alles Lehrerinnen und da waren zu wenige da, wenn 50, 60 Kinder in einer Klasse waren. Du kannst dir vorstellen, was da los war.

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Josef Friedrich: Wie hat der Högn dann die Disziplin halten können?

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Wilhelm Ederer: Das ist natürlich ein Problem gewesen. Er hat halt wieder einen gepackt beim „Kravattl" (Nacken) und hat ihn mit dem Kopf an die Tafel gestoßen. Der Högn hat oft gesagt: „Merk dir das, du Lümmel, nimm die Kopfbedeckung ab, wenn du in eine bedeckten Raum hinein gehst! Und sag bloß nicht, dass du beim Lehrer Högn in die Schule gegangen bist, wenn du mal über den Hochbühl hinauskommst.“ „Du ordinären Hund, Du!“ Da ist keiner mit Glacé-Handschuhen angefasst worden. [... Strafen von verschiedenen Lehrern ...]. Ja das ist der Högn gewesen, der hat ja nach dem Krieg noch Schule gehalten. [... Berufsschule....]

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Josef Friedrich: Hat Högn Berufsschule gehalten?

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Wilhelm Ederer: Das war noch zu Zeiten meines Vaters. Die Feiertagsschule, am Sonntag, nach der 7. Klasse ist man in die Feiertagsschule gekommen, zwei Jahre lang. Da hat man sonntags 2 Stunden Unterricht gehabt.

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Josef Friedrich: Wie hat der Musikunterricht beim Högn ausgesehen?

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Wilhelm Ederer: Ja, haben wir schon gehabt, haben schon gesungen, da haben wir Lieder gelernt, aber hauptsächlich bei der Werner. Da hat ein jeder Lehrer ein Instrument spielen können. Zumindest Geige. Ich weiß es von der Rosenbeck, von der Schneider, die Ascherl hat am Chor gespielt, der Högn sowieso, der Lehrer Ertl hat gut Klavier spielen können. Er hat im Gesellenverein Klavier gespielt in der Pause. In der 8. Klassen haben wir dann überwiegen die „Jungvolk"-Lieder gesungen von der HJ. Mit zehn ist man zum „Jungvolk“ gekommen, mit 14 Jahren zur HJ. Wir wären dann auch dazu gekommen, aber da war dann der Krieg aus. Die haben sie ja mit 15, 16 Jahren eingezogen.

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Josef Friedrich: Jetzt eine andere Frage: Hat es um 58 rum in Ruhmannsfelden einen Männergesangsverein gegeben?

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Wilhelm Ederer: Ja, da war ich auch dabei. Der ist im Schafferkeller abgehalten worden und gegründet worden. Der Danziger war Chorleiter. Der Chor war nicht sehr alt. Er hat sich auch bald wieder aufgelöst. Der Chor war gar nicht so schlecht, man hat sogar an Wettbewerbe teilgenommen. Mitglieder waren der „Bibi", der alte Bartaschek, Lippl Helmut, der alte Schweizer, Frisch Xaver. Im Schafferkeller gab es ein Klavier und da ist geprobt worden. Im Kindergarten gab es ein Harmonium und hier ist ein Klavier da gewesen.

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Josef Friedrich: Ich frag deshalb, weil der Chor am 80. Geburtstag von Högn gesungen hat, 1958, da war Hans Czech, Vorstand?

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Wilhelm Ederer: Ja, das kann sein, da war ich aber nicht mehr dabei. Ich war nur 2 - 3 Jahre dabei. Sie haben immer sonntags geprobt. [... Danziger Franz, Bericht über den Stand der Interviews ...] Der Kroiß Bräu aus Deggendorf war der Vater der Inge Schlumprecht, dann hat die Högn den Schlumprecht geheiratet, dadurch haben sie den Namen der Inge umschreiben lassen. Der Schlumprecht war ein ganz hohes Viech. Die politische Einteilung der Bezirke war damals so. Wir waren Ostbayern, Gau Bayreuth. Da ist der Gauleiter Wächtler zuständig gewesen für den ganzen Gau hier bei uns. Wir hatten auf der Uniform einen Schriftzug „bayerische Ostmark". Die B 85 hat nicht B 85 geheißen sondern Ostmarkstraße, die ist gebaut worden unter Hitler. Als Kinder haben wir ja nichts anderes gelernt. Wir haben jeden guten Fliegen, jeden Ritterkreuzträger, die ausgezeichnet wurden mit Gold und Brillant und so weiter gelernt, wie der Mölders, Galant, Admiral Deniz. Die sind im Kalender gestanden. Hauptsächlich bei der Werner haben wir das gelernt. Sie war ein hundertprozentiger Nazi. Wir hatten eine Kalender, da ist alles drin gestanden über Wehrmacht, Luftwaffen und Heer. Manche haben einen Zettel mit heimgekriegt und dann vor der Klasse einen Art Vortrag halten müssen, z. B. über den General Mölders oder über den Admiral Deniz.

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Josef Friedrich: Gab es so was auch unterm Högn?

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Wilhelm Ederer: Nein, unter dem Högn nicht. Da haben wir erst vor kurzem darüber geredet. Der Högn und die Werner waren immer ein bisschen übers Kreuz. Der Högn war von der Kirche und sie waren ein reiner Super-Nazi. Sie hat das Kreuz vom Högn in den Garten raus geworfen. Da sind wir in die Schule gegangen.

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Josef Friedrich: Hat der Högn das Kreuz wieder ins Klassenzimmer gehängt?

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Wilhelm Ederer: Der hat es nicht mehr reingehängt. Die Werner hat den Hitler reingehängt. Da hat sich der Högn immer zurückziehen müssen, obwohl er Oberlehrer war, weil das politische einfach Vorrang hatte. Angenommen er hätte die Werner verteufelt, dann wäre er ja geflogen.

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Josef Friedrich: Er hat sich also still gehalten und er hat auch keine Sachen gemacht, wie die Werner mit den Fliegern?

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Wilhelm Ederer: Ach, der Högn war ja ein konservativer Mann. Das war ein Lehrer vom altem Schlag. Ich hab schon mal zu ein paar Gemeinderäten gesagt. Alle Namen habt ihr in der Straße, aber dass ihr dem Oberlehrer Högn eine Straße widmet, das wäre doch angebracht. Im öffentlichen Bereich hat er viel geleistet. War's im kirchlichen oder im schulischem. [... Glockenfoto...] Zu einem unserer Mitschüler, ich will den Namen nicht sagen, hat der Högn gesagt: „Du bist dümmer, als dem Peterbauer sein Ochse!“ Solche Sachen hat er gesagt der Lehrer Högn. Das muss man so sehen: Die Kinder haben vor der Schule hüten müssen. Dann sind sie in die Schule gegangen, von der Schule heim, da ist ein alter Gries auf dem Tisch gestanden und dann wieder raus auf die Weide zum hüten. Wie sollen denn die da eine Hausaufgabe machen. Das war eine halbe Kinderarbeit.

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Josef Friedrich: Und Hausaufgaben hat es auch damals gegeben?

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Wilhelm Ederer: Ja freilich. Und Strafaufgaben haben wir bekommen. Da haben wir in eine Zeile gleich vier Wörter hingeschrieben, dass die Tafel voll geworden ist. Und wenn man sie nicht gehabt hat, hat man Tatzen bekommen. Zuerst hatten wir eine Tafel und dann haben wir Hefte bekommen. [... Schiefertafeln...]

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Josef Friedrich: Sie wollten die Geschichte mit dem „Teppich klopfen“ erzählten?

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Wilhelm Ederer: Es hat während des Krieges Vitamin C Tabletten gegeben, weil es keine Bonbons gegeben hat, unter anderem ist auch das Knäckebrot aufgekommen. Da haben wir jeden Tag eine Vitamin C Tablette bekommen. Da haben wir einmal, der Holler Toni und ich, ins Lehrmittelzimmer gehen müssen zur Köchin Rosl. Das Lehrmittelzimmer war im Högn seiner Wohnung, da sind seine Bücher drin gewesen, die er gebraucht als Schulleiter. Unter anderem waren da auch die Tabletten drin auf dem Kasten. Da habe ich zum Holler Toni gesagt: „Jetzt gehst du zur Rosl und hältst sie ein bißchen auf" Ich habe dann die Tabletten runter geholt und sie geklaut und in meine Knickerbocker rein getan. Die Rosl hat nichts davon gemerkt. Dann sind wir ins Klassenzimmer zurückgegangen und als wir wieder im Klassenzimmer waren, auf einmal fällt mir die Tabletten aus der Hose. Da hat der Högn mich gepackt und gesagt: „Friss, dass du genug kriegst." Da sind alle möglichen Sachen passiert. Da bin ich mal auf den schönen Birnbaum auf dem Schulgelände geklettert. Dann hat der Högn mich gesehen und die Fenster des Schulzimmers aufgerissen. „Um Gottes Willen Eder komm runter, du fällst mir vom Birnbaum runter." Und dann haben wir auch Teppiche geklopft, die Teppiche aus seiner Wohnung. Da war hinter uns ein Zwetschgenbaum und wir haben so geklopft, dass die Zwetschgen vom Baum runter gefallen sind. Einen Hund hatte er auch der Lehrer Högn, weil er auf die Jagd gegangen ist.